Tagebucheintrag vom 5. Februar 1923Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10008,
Seite 12,13
5.
Februar, Montag.
Paz
: Ladet
ein zu einem Wohltätigkeitsabend,
ich
komme
aber nicht. Die Deutschen verlangen immer
einen anderen Maßstab. Darin verstehen wir uns, die Deutschen sollten nicht immer besonderes verlangen.
Tony Canstadt
zeigt einiges aus ihren schriftstellerischen und dichterischen Sachen.
Im Herzen längst katholisch vor dem Übertritt.
Nur versteht sie nicht, 1) die Feinde
lieben.
Ihnen Gutes tun, sie nicht hassen - ja, aber lieben?
2) Vater und Mutter hassen
-
wo Elternliebe der Gottesliebe entgegensteht.
Pater Noppel
hält langen Vortrag
über
Caritas.
Er hätte eine Anleihe von hundert Millionen,
die er
zurückgeben muß. Ich bin so
müde,
daß ich nicht mehr höre,
was er alles vorbereitet sagt.
Marie Buczkowska
-
bringt auch einen großen
Pack:
Ob
Osterkonvent
der
Societas Religiosa,
welche
Kandidatinnen
von der Profeß zurückgestellt.
Baronin Castell
:
Firmungstag ausgemacht 14. März, - sie schwimmen jetzt in
Geld.
übergibt Entwurf für
Diözesanjubiläum
1924. Ob
nicht die
Geistlichen
freie Benützung der
Archive
wie die Lehrer?
Ja,
aber nicht im
Konkordat.
Frau Stadtrat Schultes
:
Ein Gesuch an das
Finanzministerium
soll ich unterschreiben -
Nein.
Zuerst muß ich abwarten,
was mit dem
Plan
der
S.J.
wird.
Bezirkspräsident Lohr
übergibt Jahresbericht über die Arbeitervereine. Sollen
Stipendien
bekommen.
Canonicus Gartmeier
:
Antrittsbesuch und Dank.
Graf Hertling
:
„Der Sohn seines
Vaters
“,
stellt er sich vor mit einigem Selbstbewußtsein. 1) Er will Geld
für das
Kinderheim
in
Ruhpolding,
er soll bekommen,
aber nicht soviel zum Bauen,
wie er glaubt.
2) Über
Politik:
Als
Nuntius
beim
Kaiser
war,
war es nach meiner Auffassung nicht der
furor
protestanticus
(wie er geglaubt hatte),
der den Frieden fern hielt,
sondern die gesamte geistige Einstellung des deutschen Volkes,
das damals 1917 noch nicht glaubte,
daß das deutsche Volk
besiegt werden könne. Ob beim päpstlichen Friedensangebot irgendwelche Aussichten
oder Vorverhandlungen von der anderen Seite waren? Nach meiner Auffassung sicher,
wenn der
Papst
einmal so fragen läßt, ich hörte etwas über
Spanien.
Ob der Name
Elsaß-Lothringen
vor dem
Kaiser
genannt wurde - ist mir unwahrscheinlich, aber die Frage, ob er zu einem Frieden „unter
Opfern“
bereit sei, sagte an sich genug.
Vorher hatte ich ihm sagen lassen, über Politik solle er nicht sprechen,
nun gab ich ihm doch allgemeine Antwort - bis
14.00 Uhr.
Nachmittag Frau Justizrat Schiffer
von
Obermenzing,
läßt sich an der Türe einfach nicht abweisen, eine
Westfälin.
Ihr
Mann
Notar
außer Dienst
ohne
Pension,
gibt ihr kein Haushaltungsgeld. Sie muß zu den Nachbarn Holz betteln gehen. Erhält
5 000 M.
und fragt so
treuherzig - „gelt,
aber dann darf ich nicht mehr wiederkommen?“
Geistlicher Rat Röhrl
von
Freising:
Über
Stipendienverteilung
an die
Theologen,
über
Weihen.
Die
Bände
von
Wilpert
,
die mir
Benefiziat
Ciccioli
schenkte,
liegen bereits in
Freising,
werden gelegentlich hierher gebracht und dann kann man
von hier
Heilige
Schrift
und Handbücher für das
Seminar mitnehmen.

Tony Canstadt

Pater Noppel

Marie Buczkowska

Baronin Castell

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Prälat
Hartig
Frau Stadtrat Schultes

Bezirkspräsident Lohr

Canonicus Gartmeier

Graf Hertling







Nachmittag Frau Justizrat Schiffer


Geistlicher Rat Röhrl


