Kritische Online-Edition der Tagebücher
Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952)

31.03.2023
Kardinal von Faulhaber in Haag anlässlich der Firmung am 16. Juli 1943.
22.11.1931 Benediktion der Sankt Augustinus Notkirche in Trudering, München-Ost.
Bildquelle: Erzbischöfliches Archiv München (EAM, NL Faulhaber, Fotosammlung 236).

„Im ganzen Reich parteipolitische Zusammenstöße, blutiger Bürgerkrieg im Anzug.“

Kardinal Faulhabers Tagebücher aus den Jahren 1930, 1931 und 1932 gehen online.

Seit Jahrzehnten ist in der historischen und kirchenhistorischen Forschung bekannt, dass Erzbischof Faulhaber den Nationalsozialismus als „mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen“ bezeichnete und ihn eine „Häresie“ nannte. Der Inhalt seiner Tagebücher aus den Jahren 1930 bis 1932 untermauert diesen Befund. Obwohl er ein starkes Anwachsen der extremen Rechten bei den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 befürchtet hatte, überraschte ihn doch das Ausmaß des Erfolgs der NSDAP, die landesweit einen Stimmenanteil von 18,3 % der Wählerstimmen erhielt und in Bayern mit 17,9 % nur leicht unter dem reichsweiten Durchschnitt lag. Die Erzdiözese reagierte mit einer Aufklärungskampagne. Am 10. November 1930 notierte Faulhaber zufrieden: „Abends zehn große Versammlungen ‚Unsere Weltanschauung im Kampf der Geister‘ gegen den Nationalsozialismus. Alle gut besucht und voll Begeisterung.“ Eine Absolution von Mitläufern lehnte er ab. Für Verhandlungen mit den Nationalsozialisten sah der Oberhirte keinen Spielraum.

Auch die KPD hatte bei den Reichstagswahlen einen – vergleichsweise moderaten – Stimmenzuwachs erzielt. Weiterhin betrachtete der Kardinal den Kommunismus aber als erstrangige Bedrohung für den Katholizismus und die gesamte Gesellschaft. Angesichts der radikal christentums- und kirchenfeindlichen Politik der Bolschewiki seit 1918 in Russland (ab 1922 in der Sowjetunion) und der Informationen, die er über die dortigen „Greuel“ erhielt, war dies wenig erstaunlich. Mit Predigten und Protestveranstaltungen traten Faulhaber und der Klerus dem Bolschewismus entgegen. Immer wieder stand der Erzbischof unter Polizeischutz, weil ihn sogar Morddrohungen erreichten.

Die politische Entwicklung bis in das Jahr 1932 hinein stimmte Faulhaber düster, er bereitete sich auf „die Nazi-Revolution“ vor und prophezeite, dass „die Gewalt, der Terror kommen“ werde. Als Faulhaber von den Gerüchten erfuhr, dass der bayerische Kronprinz Rupprecht „als König sterben“ wolle, notierte er: „Und jetzt mit dem Naziputsch zugleich monarchistischer Putsch zu fürchten“ (Tagebucheintrag vom 11. April 1932). Besuchern, die in einer monarchischen Restauration eine reale Alternative zu den politischen Zuständen erblicken wollten, bescheinigte Faulhaber, „Illusionen“ anzuhängen. Enttäuscht hatte er sich bereits von der BVP abgewandt, sie gar als „Schlafwagengesellschaft“ verspottet. An den Reichstagswahlen vom 6. November 1932 nahm er nicht teil.

Kampf gegen den kulturellen und sittlichen Verfall

Herausgefordert fühlten sich Erzbischof und Klerus besonders durch die Bibelforscher, die sich ab 1931 Zeugen Jehovas nennen sollten, die „[f]urchtbaren Haß gegen Geistliche“ verbreiteten und in einer Weise hetzten, „dass Unruhen entstehen müssen“, weshalb ein „Verbot“ zu fordern sei (Tagebucheintrag vom 26. November 1930). Gleichfalls klärte man die Gläubigen über die Ziele der anti-kirchlichen und religionsfeindlichen Freidenkerbewegung auf. Seelisch erschüttert zeigte sich der Erzbischof über die Zeitungsnachricht, dass der „Domorganist die Orgel im Krematorium“ spiele – „mit Wissen des Dompfarrers und mit Wissen des Ordinariats“ (Tagebucheintrag vom 21. Februar 1930), weil die Feuerbestattung der katholischen Glaubenslehre widersprach. Über „die Unnatur des Frauenturnens“ sprach Faulhaber zu Beginn des Kreisfestes der Deutschen Jugendkraft im Sommer 1931 in München.

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1930

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1931

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1932

In dieser kritischen Online-Edition werden die Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers und die sogenannten Beiblätter aus den Jahren 1911 bis 1952 veröffentlicht. Es bedeutet einen großen Glücksfall für die Forschung, dass diese Dokumente über einen so langen Zeitraum lückenlos überliefert sind. Erstmals wird dieser Textkorpus systematisch aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen und der Öffentlichkeit in Gänze zur Verfügung gestellt. Die Texte und später auch die Kommentare werden in regelmäßigen Abständen online verfügbar gemacht.

Der Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) war ein machtbewusster Kirchenfürst, ein politischer Vordenker, ein hochgelehrter Theologe und ein internationaler Netzwerker. Er prägte die Geschichte der katholischen Kirche über zahlreiche Umbrüche hinweg, vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und den Zweiten Weltkrieg bis in die Besatzungszeit und die ersten Jahren der Bundesrepublik. Faulhaber mischte sich ein, nahm Stellung und scheute keinen Streit, wenn es um die Interessen der Kirche und die Verteidigung des Glaubens ging. Das brachte ihm viele Verehrer, aber auch viele Feinde ein. Besonders umstritten ist er heute wegen seiner Kriegsrechtfertigungen, seiner Kritik an der Weimarer Republik und seines Verhaltens im „Dritten Reich“.

Auch politische und kulturelle Entwicklungen beobachtete Faulhaber sehr genau – und versuchte sie zu beeinflussen. Seine Aufzeichnungen sind daher nicht nur eine wichtige Quelle für Kirchenhistoriker, sondern auch für grundlegende Fragen der deutschen und europäischen Politik-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die universelle Struktur der katholischen Kirche eröffnet außerdem internationale Vergleichshorizonte.

Das Editionsprojekt wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.

Das Team des Projekts hat sich die von Faulhaber verwendete Kurzschrift Gabelsberger angeeignet. Das Projekt trägt so dazu bei, diese Kulturtechnik vor dem Aussterben zu bewahren. Durch die technische Weiterentwicklung der Datenbanken und Darstellungsformen leistet das Projekt zudem einen Beitrag zur Verbesserung der Forschungsinfrastruktur.