Tagebucheintrag vom 7. Dezember 1924Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10010, Seite 52,53

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Sonntag, 7. Dezember. Wahltag für Reichstag und Gemeinde, aber ohne die Aufregung der früheren Wahl, besonders weil für die Gemeindewahl die bürgerlichen Rechtsparteien eine Wahlgemeinschaft geschlossen haben und die Völkischen, die das letzte Mal viel Lärm gemacht haben, diesmal in heilloser Spaltung sind. Herr Pöhner ist am 2. Dezember ausgetreten und hat in letzter Stunde noch einmal dem Kriegsführer Ludendorff die Führerqualität abgesprochen. Ich gehe allein, Stimmbezirk 8, in die Domschule.

7.00 Uhr im Dom - nachher läuft immer wieder die Ther.? nach.

Studiosa philosophiae Eugenie Löffler - bittet für ihre Hausfrau Ostermeyr in der Ainmillerstraße Zuschuß für Miete - 50 M. für die Kinder etwas richten.

Freiin Reichlin von Meldegg - würde gerne eine Stelle annehmen - ist zu schwierig. Ausgewiesen aus Straßburg - Dickhoff will auch einmal zu mir kommen.

Domvikar Höger. Der neue Monsignore dankt dafür.

Staatssekretär Frank: Er hätte gehört, übermorgen sei Endtermin für Einreichung der päpstlichen Orden!! Und wollte für Bürgermeister Frommknecht und Architekt Buchner um päpstliche Auszeichnung bitten wegen Verdienste um Obermenzing. Erzählt mir, daß wir jährlich 800 Millionen Goldmark zahlen müssen und den Hauptteil soll die Reichsbahn bezahlen; darum, um Aufsicht zu haben, eine Reichsbahngesellschaft (nicht Aktiengesellschaft), in deren Aufsichtsrat Ausländer sitzen.

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Ein Herr Hauser, bei der Zentraldarlehenskasse, für liturgische Fragen sehr bemüht, bittet, daß während der Wandlung der Pontifikalämter die Salveglocke geläutet werden möge - erhält ein liturgisches Büchlein über die Chormesse und eine Karte, um die Kirchweihe nächsten Sonntag zu sehen.

Pfarrer Denk - von Beuron wieder hierher gezogen, übergibt ein langes Schreiben, ist heute 2.00 Uhr aufgestanden, lebt von einer Tasse Kaffee und im Vegetarierrestaurant und abends Minztee und dabei glücklich und gesund. Von den Eltern sehr streng erzogen. Ich zeige ihm meine Bibliothek und nun will er die Bücher von Beuron direkt hierher bringen - später sollen sie dem Erzbischof vermacht werden.

15.00 Uhr Vesper - bei düsterem Wetter.

16.00 Uhr Marie Fitz - zum Radio, weil Bruder Hans drei Lieder zur Laute singt. Eher zum Weinen.

Maria Theresia Pecht - mit ihren Arbeiten von der Gewerbeschule. Immer jammernd, daß die Mutter kein Geld hätte. Ich gebe ihr vier bis fünf Paar Schuhe und Überschuhe wiewohl etwas klein, zwei Waschstücke, eine abgestrickte Jacke, zwei Kappen - und 20 Dollar.

Nachts, 22.30 Uhr, als die Resultate der Wahl und der Zusammenbruch der völkischen Großmaulgruppe bekannt wurden, fragt eine Frauenstimme am Telefon, ob und wann morgen der Herr Kardinal das Hochamt hielte. Nach den verschiedenen Drohungen könnte man mißtrauisch werden.