Kritische Online-Edition der Tagebücher
Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952)

09.05.2025
Michael von Faulhaber an Bord der Albert Ballin auf der Amerikareise 1926
Michael Kardinal von Faulhaber im Kardinalsornat.
Bildquelle: Erzbischöfliches Archiv München

„Vielen stehen unter Weihe des Augenblicks die Tränen in den Augen.“

Kardinal Faulhabers Tagebuch gewährt unbekannte Einblicke in das Papstkonklave 1922

„Extra omnes“ – „alle hinaus“. Diese berühmten Worte spricht der Zeremonienmeister zu Beginn des Konklaves. Von nun an sind die Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle ohne Kontakt zur Außenwelt eingesperrt. Ihre einzige Aufgabe: Die Wahl eines neuen Papstes, des neuen Stellvertreters Jesu Christi auf Erden.

Sobald die Türen des Wahllokals ins Schloss fallen, erfährt die Öffentlichkeit nichts mehr. Erst der weiße Rauch informiert über die erfolgreiche Wahl. Das Konklave stellt eine einzige Blackbox für die Außenwelt dar. Die Kardinäle sind zur absoluten Geheimhaltung per Eid verpflichtet – bei Zuwiderhandlung droht ihnen die sofortige Exkommunikation. Sämtliche Wahlunterlagen werden sofort verbrannt. Historische Quellen existieren also nicht. Aber was passiert während der Wahl? Welche Fraktionen stehen sich gegenüber? Wie reagieren die Wähler und schließlich der Gewählte? Fragen heute aktueller denn je.

Kardinal Faulhaber vertraute seine Eindrücke aus dem Konklave 1922 seinem Tagebuch an. Bisher waren diese hochspannenden Aufzeichnungen von der Forschung unbeachtet geblieben. Das Team der Faulhaber-Edition hat diese Quelle als Teil eines weit umfangreicheren Romreisetagebuchs gehoben und transkribiert – bisher unveröffentlicht und nicht Teil der Faulhaber-Edition.

Die Aufzeichnungen gewähren erstmals einen verblüffenden Blick durch das Schlüsselloch hinein in das Konklave von 1922, bei dem Faulhaber als einer von 53 Kardinälen teilnahm. Bei dieser Papstwahl handelte es sich um nichts weniger als eine Richtungswahl. Es standen sich zunächst zwei Gruppen unerbittlich gegenüber: Auf der einen Seite die konservativen Hardliner mit ihrem Kandidaten Pietro La Fontaine und auf der anderen Seite die gemäßigten Reformer um Pietro Gasparri, die sich aber gegenseitig blockierten. Erst nach fünf Tagen und 14 Wahlgängen konnte ein Kompromisskandidat die erforderliche Zweidrittelmehrheit auf sich vereinen: Achille Ratti, der Erzbischof von Mailand, der sich den Namen Pius XI. (1922–1939) gab.

Kardinal Faulhabers eindrücklicher Bericht aus dem Konklave setzt am allerletzten Wahltag an, dem 6. Februar 1922. Er bietet eine atmosphärische Beschreibung des Konklaves ohne die Geheimhaltungspflicht zu verletzen.

→ Faulhabers Aufzeichnungen zum Konklave 1922 zum Download

In dieser kritischen Online-Edition werden die Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers und die sogenannten Beiblätter aus den Jahren 1911 bis 1952 veröffentlicht. Es bedeutet einen großen Glücksfall für die Forschung, dass diese Dokumente über einen so langen Zeitraum lückenlos überliefert sind. Erstmals wird dieser Textkorpus systematisch aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen und der Öffentlichkeit in Gänze zur Verfügung gestellt. Die Texte und später auch die Kommentare werden in regelmäßigen Abständen online verfügbar gemacht.

Der Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) war ein machtbewusster Kirchenfürst, ein politischer Vordenker, ein hochgelehrter Theologe und ein internationaler Netzwerker. Er prägte die Geschichte der katholischen Kirche über zahlreiche Umbrüche hinweg, vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und den Zweiten Weltkrieg bis in die Besatzungszeit und die ersten Jahren der Bundesrepublik. Faulhaber mischte sich ein, nahm Stellung und scheute keinen Streit, wenn es um die Interessen der Kirche und die Verteidigung des Glaubens ging. Das brachte ihm viele Verehrer, aber auch viele Feinde ein. Besonders umstritten ist er heute wegen seiner Kriegsrechtfertigungen, seiner Kritik an der Weimarer Republik und seines Verhaltens im „Dritten Reich“.

Auch politische und kulturelle Entwicklungen beobachtete Faulhaber sehr genau – und versuchte sie zu beeinflussen. Seine Aufzeichnungen sind daher nicht nur eine wichtige Quelle für Kirchenhistoriker, sondern auch für grundlegende Fragen der deutschen und europäischen Politik-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die universelle Struktur der katholischen Kirche eröffnet außerdem internationale Vergleichshorizonte.

Das Editionsprojekt wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.

Das Team des Projekts hat sich die von Faulhaber verwendete Kurzschrift Gabelsberger angeeignet. Das Projekt trägt so dazu bei, diese Kulturtechnik vor dem Aussterben zu bewahren. Durch die technische Weiterentwicklung der Datenbanken und Darstellungsformen leistet das Projekt zudem einen Beitrag zur Verbesserung der Forschungsinfrastruktur.