Kritische Online-Edition der Tagebücher
Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952)

02.07.2024
Kronprinz Rupprecht mit Michael Kardinal von Faulhaber
Kronprinz Rupprecht mit Michael Kardinal von Faulhaber (undatiert).
Bildquelle: Erzbischöfliches Archiv München (EAM, NL Faulhaber, Fotosammlung 1921)

„Ich bedauere, daß der Katholikentag ein so trauriges Ende nimmt.“

Kardinal Faulhabers Tagebücher aus den Jahren 1920, 1921 und 1922 gehen online

1920

Trotz des Endes der Räteherrschaft in Bayern im Frühjahr 1919 bestand die Furcht vor einer neuerlichen Revolution von links fort. Als ordnungspolitischer Garant gegen „Chaos und Bolschewismus“ galten 1920 auch Erzbischof Faulhaber die aus den Freikorps und Bürgerwehren hervorgegangenen Einwohnerwehren, weswegen er deren Entwaffnung gemäß den Friedensforderungen der Alliierten missbilligte. Zwar lehnte er eine offizielle Parteinahme des Klerus zugunsten der Einwohnerwehren ab. Doch dem Engagement Geistlicher in den paramilitärischen Organisationen begegnete er durchaus wohlwollend, gehe es doch um „Ordnung“.

1921

Kurz vor seiner Abreise zum Konsistorium in Rom, auf dem er am 7. März 1921 in den Kardinalsstand erhoben werden sollte, traf Michael von Faulhaber ein schwerer persönlicher Schicksalsschlag: der Tod seines Bruders Robert.

Anlässlich der Beisetzung des bayerischen Königspaares am 5. November 1921 im Münchner Dom brachte Kardinal Faulhaber einmal mehr seine Ablehnung des neuen politischen Systems in seiner Trauerrede zum Ausdruck: „Könige von Volkes Gnade sind keine Gnade für das Volk, und wo das Volk sein eigener König ist, wird es über kurz oder lang auch sein eigener Totengräber.“ Noch am Vorabend hatte er bei der Ankunft der Särge von Ludwig III. und Marie Therese am Münchner Hauptbahnhof einen Vergleich mit dem Verhalten der alten monarchischen Eliten aus Adel, Militär und Verwaltung gegenüber dem König während der Novemberrevolution 1918 gezogen: „Damals hat keiner die Hand für ihn gerührt und jetzt stehen sie da mit Pickelhauben und Orden und legen die Hand an den Helm und ziehen die Degen.“

1922

„120 000 Menschen unter blauem Himmel“ zum Gottesdienst am Königsplatz, so erfreulich verlief der Auftakt zur Generalversammlung der Katholiken Deutschlands vom 27. bis zum 30. August 1922 in München, wie Michael von Faulhaber in seinem Tagebuch notierte. Doch mit seiner in Teilen hochpolitischen Eröffnungsansprache, in der er die Revolution vom November 1918, die auf dem Weg zur Republik von Weimar nicht hinweggedacht werden konnte, als „Meineid und Hochverrat“ bezeichnete, provozierte der Erzbischof den Eklat, den er wenig später beklagte. Denn der Präsident des Katholikentags, der Zentrumspolitiker und Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, nahm den Fehdehandschuh auf und Republik sowie „deutsche Verfassung in Schutz“. Obwohl Faulhaber die Brisanz seiner Ausführungen erkannte, „denn in jenen Tagen kriselte es sehr bedenklich für einen Rechtsputsch“, mäßigte er seine Worte nicht, sah sich aber nicht in der Mitverantwortung, „wenn ein Putsch zeitlich mit dem Katholikentag zusammenfallen sollte“.

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1920

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1921

→ Zu den Tagebucheinträgen des Jahres 1922

In dieser kritischen Online-Edition werden die Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers und die sogenannten Beiblätter aus den Jahren 1911 bis 1952 veröffentlicht. Es bedeutet einen großen Glücksfall für die Forschung, dass diese Dokumente über einen so langen Zeitraum lückenlos überliefert sind. Erstmals wird dieser Textkorpus systematisch aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen und der Öffentlichkeit in Gänze zur Verfügung gestellt. Die Texte und später auch die Kommentare werden in regelmäßigen Abständen online verfügbar gemacht.

Der Münchner Erzbischof Michael Kardinal von Faulhaber (1869-1952) war ein machtbewusster Kirchenfürst, ein politischer Vordenker, ein hochgelehrter Theologe und ein internationaler Netzwerker. Er prägte die Geschichte der katholischen Kirche über zahlreiche Umbrüche hinweg, vom Kaiserreich über den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und den Zweiten Weltkrieg bis in die Besatzungszeit und die ersten Jahren der Bundesrepublik. Faulhaber mischte sich ein, nahm Stellung und scheute keinen Streit, wenn es um die Interessen der Kirche und die Verteidigung des Glaubens ging. Das brachte ihm viele Verehrer, aber auch viele Feinde ein. Besonders umstritten ist er heute wegen seiner Kriegsrechtfertigungen, seiner Kritik an der Weimarer Republik und seines Verhaltens im „Dritten Reich“.

Auch politische und kulturelle Entwicklungen beobachtete Faulhaber sehr genau – und versuchte sie zu beeinflussen. Seine Aufzeichnungen sind daher nicht nur eine wichtige Quelle für Kirchenhistoriker, sondern auch für grundlegende Fragen der deutschen und europäischen Politik-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die universelle Struktur der katholischen Kirche eröffnet außerdem internationale Vergleichshorizonte.

Das Editionsprojekt wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.

Das Team des Projekts hat sich die von Faulhaber verwendete Kurzschrift Gabelsberger angeeignet. Das Projekt trägt so dazu bei, diese Kulturtechnik vor dem Aussterben zu bewahren. Durch die technische Weiterentwicklung der Datenbanken und Darstellungsformen leistet das Projekt zudem einen Beitrag zur Verbesserung der Forschungsinfrastruktur.