Tagebucheintrag vom 19. April 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 78

Text+KommentierungNur Text
Charsamstag, 19. April.

Die Liturgie wieder ergreifend wie noch nie. Augustinus spottet über die scrutantes scrutinio am Grab Christi, die alles ausstudiert hatten und doch defecerunt. Seductor appellabatur Dominus noster ad solatium servorum suorum quando dicuntur seductores (Lectio 5) O mors, ero mors tua.

Zum Alleluja läuten keine Glocken. Die Glocken sind von den Spartakisten beschlagnahmt. Neulich, als sie mit unseren Glocken nachts 1.00 Uhr und 4.00 Uhr Alarm und „Sieg“ läuteten, wurde es den Gläubigen weh ums Herz, - heute wird es ihnen weh, weil die Glocken schweigen.

Nachmittags werden Zettel abgeworfen, gezeichnet von Ministerpräsident Hoffmann, Schneppenhorst und Landessoldatenrat Simon: An die Bevölkerung von München! Mut, Hilfe naht, Württembergische Regimenter kommen. Ich weiß es von „Hoffmann“ selber: Bei Donauwörth große Truppenzüge. Besser es geht München zugrunde [ ... ] ganz Bayern und Württemberg dazu.

Nachmittags gehe ich nach Sankt Anna, den Kreuzweg beten und das heilige Grab besuchen. (Hofgarten durch Matrosen gesperrt). Am heilige Grab knien die Leute und weinen. Alles bangt vor der Nacht und zittert, wenn die Hausglocke geht, weil die wilde Plünderung begonnen hat und nicht bloß nach Waffen und Lebensmittel und Kleider, sondern jetzt auch nach Papiergeld die Häuser untersucht werden dürfen! Auf dem Heimweg sehe ich einen Mann, der die Straße und mein Haus besucht. Deshalb nach der Auferstehungsfeier in meine Katakombe um 21.00 Uhr. Bei der Auferstehungsprozession flüstern die Leute: „das ist ja der Erzbischof“, weil auswärts die Meinung verbreitet ist, ich sei seit acht Tagen in Haft.

Superior der Barmherzigen Schwestern erhält einen großen Umschlag, auf dem mit blauem Stift von Generaloberin der General ausgestrichen ist, weil das zu militärisch und vom heiligen Vinzenz von Paul das „von“ ausgestrichen ist, weil der Adel abgeschafft wurde.