Tagebucheintrag vom 6. Januar 1919Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 35

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6. Januar, Tonie Tänzl – beim Arzt hier, darum 11.30 Uhr besucht.

Dr. Siben aus der Pfalz, Wahlkandidat – wir sprechen sehr lange über die Zeitverhältnisse, besonders auf dem Land und im Feld.

Nach der Vesper die Prozession in Sankt Peter, die sehr ergreifend wieder war, in der herrlichen Kirche.

Gräfin Moy: Ihr Sohn Carl schwer krank, Geräusch im Herz und Gelenkrheuma beginnend und bei ihm ist es sehr gefährlich. Sie weint wie ein Kind und will sich gar nicht fassen.

Das Herzklopfen nicht besser: Man lebt von einer Stunde zur anderen in Sorge: Am Telefon hört Sekretär, daß in Berlin vollendeter Bürgerkrieg, dann kommt Gräfin Moy: Die Angst treibt mich zu Ihnen – wenn der Sekretär an der Tür erscheint: „es hat telefoniert, zittert man schon“. Wir machen aus, daß wir bei nächtlichen Demonstrationen freiwillig die Tür nicht öffnen, und das elektrische Licht ausschalten. Unheimlich schon, wenn die Leute, besonders abends zwischen 22.00 und 23.00 Uhr (22.00 Uhr ist Polizeistunde für Wahlversammlung) auf der Straße so laut und aufgeregt reden oder, wenn alles stehen bleibt und das Haus betrachtet und die Fenster abguckt. Dazu kommt einerseits die Nachricht, daß in Baden die bürgerlichen Parteien doppelte Stimmenzahl hätten und andererseits in Berlin Bürgerkrieg, – das regt alles noch mehr auf.

Dabei aber fühle ich, daß viel für mich gebetet wird. Die treue Petrusgemeinde spricht das in einzelnen Zuschriften, wie von Buczkowska
Wahrscheinlich ist Marie Buczkowska gemeint. Doch auch Mutter Valentine oder die gleichnamige Tochter könnten den Brief geschrieben haben.
auch aus.

Am Telefon wird mitgehört, man hört es deutlich an dem Knack und dann schwer zu verstehen – verschwindet wieder, sobald man deutlich von der heiligen Messe oder sonst Religiösem spricht.

An Cramer-Klett zum Tode seiner Schwiegermutter, 8.1.19: ... Mir scheint, heute hat das Sterben als Abschied von einer solchen Welt viel von seiner Bitterkeit verloren und der Heimgang ins Land des Friedens viel an Süßigkeit gewonnen. Wir Zurückbleibenden sind mehr zu beklagen als die Heimgegangenen.