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Tagebucheintrag vom 31. Dezember 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 32

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31. Dezember 1918. Früh 10.00 Uhr beginne ich die Skizze zur Silvesterpredigt, über Trennung von Kirche und Staat, regnerisch düsterer Himmel, müder Kopf, dazu die Post.

Monsignore Schioppa: Der Heilige Vater hat durch preußischen und bayerischen Gesandten bei den Regierungsfeierlichkeiten Verwahrung eingelegt gegen Aufhebung der geistliche Schulaufsicht (Aufsicht über Glaube und Sitten in der Schule). Dr. Müller
Möglicherweise handelt es sich um Max Müller.
will es nicht aufnehmen, weil die Volkspartei dafür eintreten wollte. Ich gebe ihm zwei Protokolle, die er nach Rom schicken will. Maglione habe mitgeteilt, daß seine Pakete geöffnet waren, nicht die Wertbriefe, der Soldatenrat in Landau überhaupt sehr gewalttätig.

17.00 Uhr, Silvesterpredigt ohne Einleitungsgesang, aber zum Erdrücken voll. Auch ohne Störung, obwohl damit zu rechnen war. Die Nacht sehr schlecht: Auf der Predigt stellte sich wieder das Herzklopfen ein mit 120 Puls und trotz Baldrian will der Schlaf nicht kommen. Dazu, 23.30 - 00.30 Uhr, wütendes Neujahrschießen, besonders mit Blend-Handgranaten beim Ministerium des Äußeren. Man will offenbar nach der gestrigen Aussprache über den in ihrer Fantasie bestehenden Putsch der Bürgerwehr den Bürgern zeigen, daß man schießen kann. Dazu rattern die Maschinengewehre, anfangs mußte man an einen Zusammenstoß im Ernste denken. Ich danke Gott, für die Abendstunde des letzten Tages. Es ist schon gut abzurechnen, denn das neue Jahr ist ein ganz dunkler Weg. Daß ich am Stehpult arbeite, wo mein Vorgänger gestorben, und auf dem Stuhl empfange, wo zwei vom Schlag getroffen, ist ein ernstes Memento mori. Gottes Wille geschehe.
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