Tagebucheintrag vom 2. Dezember 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 22-23

2. Dez. Soldat Müller v. Speyer: Kam mit dem Leibreg. hierher, sie hätten beim /
Einzug nichts gesprochen aber viele geweint. Gestern keine Kleidung bekommen weil die anderen Sonntag nicht arbeiten wollten, im Gegensatz zu den Roten /
tragen sie jetzt schwarz-gold-rote Kok. Erhält Strümpfe, zwei Taschentücher, Zigarre und 5 M.

Stud. Luise Jörissen: war in Köln beim Frauenbund polit. noch gar nicht einig nämlich [ ... ] vorerst noch /
3 Zentrumsprogramme; eine Hauptkämpferin gegen Wynneken.

Karte abgegeben: Gräfin Mikes, Major Herberger zZ Ludwigshafen

Ein einfacher Mann aus Würzburg schreibt 3. Nov. 1918: Es wird die nationale Verteidigung kommen und beten, sagen Sie es dem Kaiser /
dem König im Vertrauen: der 16. Febr 1919 wird ein Siegestag werden und den Frieden bringen.

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Hofrat Decker hat Seestr 4 Klinik mit Niederbronner Schwestern, /
hat ihnen von der Wahl gesprochen, wollte nach Niederbronn schreiben, fragt ob von uns aus die Schwestern angewiesen würden – Ja, kurz vor /
der Wahl werden sie aufgeklärt und angewiesen werden

Nachm. wird es unruhig. Wie gestern schon auf der Straße Nieder mit Eisner“ und der Res.wache die rote Fahne /
zerrissen wurde, so reitet heute Kavallerie vor dem Landtag vor und wieder Maschinengewehre aufgestellt. Die Pfarrkonf. verschoben.

Justizrat Rumpf u Dr Wahrmuth: über den Anschluß der prot. Geistl. an die Volkspartei. /
Die prot. Pfarrer hielten sehr zurück weil sie glaubten es sei nur Zentrum; ob da nicht eine Anregung von mir aus? Resp. Ich habe schon mehrere solcher /
Anregungen erhalten, kann aber nicht daran denken aus zwei Gründen 1) weil die kirchliche Oberbehörde grundsätzlich keine polit. Führung übernehmen kann; 2) weil über kurz oder lang doch /
wieder Gegensätze auftreten werden. Die Prot werden sich bei ihrer ungeheuren Anpassungsfähigkeit eher zurecht finden während wir lieber das ganze Kirchenvermögen als einen Grundsatz opfern. Später wohl Anti- /
christentum, es wird aber Antikath. also Kulturkampf werden und dann wieder auseinander und man würde uns vorwerfen wir hätten sie nur als Vorspann für die Wahl benützt. /
Pechmann muß an die prot. Pfarrer herantreten. Man soll offen sagen: Jetzt Ordnung schaffen, die christliche Schule, die prot. so gut wie die katholische retten und ein /
erträgliches Verhältnis zum Staat – also lieber überlegen ob nicht Block, der später wieder auseinandergehen kann. Für den Protest. Zwei Gegengründe 1) der Protest /
kann und darf den Reichsgedanken nicht aufgeben während die Volkspartei dann [ ... ] als Bayr. in Zukunft Kraft hat. 2) Die Volkspartei muß besonders dem Landvolk sagen /
sie verteidigt die Rechte der Kirche also klar reden ohne eine konfess. Partei ausgesprochen zu sein. Fürs Gewissen eine neue Lage: Demokratisch und katholisch keine Gegensätze mehr. /
In der letzten Zeit allerdings weniger Streitfall: beim Lutherjub. und der Provida wegen blieb es doch ruhig.

Abds in Civil Philisterabend in Union: Korpor. Beitritt zur Bayerischen /
Volkspartei. Naab erzählt er habe Nachricht von seinem gefangenen Sohn: „Unverwundet und wohlbehalten“. Wir sprechen von Trennung von Kirche und Staat. Giehrl erzählt /
wie sie 1913 den König Otto besucht der wie ein Tier gelebt habe, mit den Händen gegessen und dann ihnen Teller und Kanne nachgeworfen.