Tagebucheintrag vom 17. November 1918Parallelansicht ⇨
Nachlass Faulhaber 10003, Seite 15

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Sonntag, 17. November.

Toni Tänzl bringt Nachricht, daß von Dienstag ab in sieben schönen Zimmern; die Damen essen Mittag neben der Küche, um sich einmal zu sehen. Laßberg sagt, der König sei bisher gut behandelt worden, man habe ihm Wagen gegeben, ein Schloß und Apanage in Aussicht gestellt. Calabrien
Gemeint sind wohl der Herzog und die Herzogin von Kalabrien zusammen mit ihrer Familie.
sei geflohen, aber wieder zurückgekehrt.

Valentine Buczkowska
Wohl Valentine Buczkowska die Ältere gemeint. Möglicherweise wäre auch an ihre gleichnamige Tochter zu denken.
: wegen der roten Fahne.

geistlicher Rat Sturm siehe Politik: Übers Programm der Regierung, besonders das Schulprogramm. Der Umzug der Soldaten, auf heute 10.00 Uhr festgesetzt. 50 000 Mann bewaffnet – man denke, wenn ein einziger Schuß fällt, geht das Stürmen und Plündern los und die neue Revolution. Das kommt den Männern zum Bewußtsein (von 10.00 - 11.00 Uhr war ich in meiner Kapelle), und als von Berlin die Meldung kommt, dort sei wieder Blut geflossen, sagt man den Umzug ab und läßt an verschiedenen Orten die Musik spielen, bis 13.45 Uhr. Die Führer waren im Glauben, der König sei die erste Nacht bei mir gewesen.

Nachmittags gehe ich traurig zur Fronleichnamkapelle: dann und wann grüßen die Leute sehr ernst, der Wittelsbacher Palast geschlossen und ohne Wache, auf der Straße eine deutsche Kokarde, die zertreten wird, in der Kapelle, gut besucht, die Stille wie in früheren Tagen. Auch Soldaten knien dort. Vor Dreifaltigkeitskirche begegnen mir die Herzogin von Sachsen
Vermutlich ist Maria Immacolata Cristina gemeint.
mit ihrer Dame: sehr ernst.

Pfarrer Isenhard aus dem Elsaß zur Zeit im Herz-Jesu-Kloster seit vier Jahren. War im Prison, kehrt jetzt nach dem Elsaß zurück, fühlt sich als Sieger und meint, den Alldeutschen würde es nicht einerlei sein. In Straßburg kein blaues Tuch mehr zu haben, zum Empfang der Franzosen alles aufgekauft.

Prälat Huber.

Frau v. Liebel mit Maria und Georg: will Morgen heimreisen.

Nicht alle, die Wache stehen, sind Umstürzler. Früh auf dem Weg zum Dom: „Guten Morgen Herr Hochwürden - sie verlieren Ihr Schuhpandl“.

Heute sollte ein Umzug der Soldaten (es sollen 50 tausend Mann sein) sein, von der Theresienwiese herein und zwar bewaffnet!!

Aber braucht bloß der erste Schuß zu fallen und es beginnt das Stürmen und Plündern und blinde Schießen, Vormittag 10.00 Uhr, damit keiner in den Gottesdienst komme. - Dann wird das Ministerium gewarnt, von Berlin kommt Nachricht, daß dort wieder Blut geflossen - dann abgesagt.